Interview mit Brigadier a.D. Johanna Hurni

Für meine Arbeit durfte ich ein schriftliches Interview mit Frau Johanna Hurni führen.

Johanna Hurni wurde 1933 in Bern geboren. Frau Hurni schloss nach ihrem Handelsdiplom eine Ausbildung als medizinische Laborantin ab. 1957 trat sie dem Frauenhilfsdienst in der Funktion als Sanitätsfahrerin bei. 1977 wurde Johanna Hurni zum Chef FHD ernannt. Mit der Gründung des Militärischen Frauendienstes 1986 erhielt sie als erste Frau in der Schweizer Armee den Rang Brigadier.

Brigadier Johanna Hurni
Brigadier Johanna Hurni Bild: MFD Zeitung 9/90

Fragen zur Person Johanna Hurnis

Als Sie aufwuchsen, herrschte in Europa der 2. Weltkrieg. – Wie nahmen Sie den Krieg während Ihrer Kindheit war? - Welchen Einfluss hatte der Krieg auf Sie?

Mein Vater war Berufsoffizier, deshalb während des ganzen Aktivdienstes, abgesehen von gelegentlichen Urlauben, abwesend. Der Krieg hatte natürlich auch grossen Einfluss auf den Alltag: Rationierung der Lebensmittel, der Textilien, der Schuhe, Kontingentierung des Heizmaterials etc. Dazu immer mal wieder Fliegeralarm. Wir Schulkinder mussten regelmässig Altmaterial einsammeln, z.B. auch Kaffeesatz und abgenagte Knochen, im Frühjahr Maikäfer (es gab sie noch!).

Welche Beziehung hatten Sie vor Ihrem Beitritt zum Frauenhilfsdienst zu Armee und FHD?

Die Armee war mir eine Selbstverständlichkeit, Garantie für unsere Sicherheit (die Gott sei Dank nicht auf die Probe gestellt wurde). Den FHD kannte ich kaum.

Aus welchen Gründen entschieden Sie den freiwilligen Dienst beim FHD zu leisten?

Ich wollte wissen, was ich zu tun habe, sollte wieder ein Krieg ausbrechen. Dann hat mich aber auch die Funktion als Motorfahrer gereizt.

Wie war die Meinung Ihres Umfeldes zu Ihrem Entscheid dem FHD beizutreten?

Achselzucken, Verwunderung, Unterstützung bei den Eltern.

Frau Hurnis Karriere in FHD und MFD

Was war Ihre grösste Motivation während Ihrer Zeit beim FHD?

Das Erlebnis der Kameradschaft, das Kennenlernen verschiedener Landesgegenden, auf andere Art als ein Tourist es erlebt, das Lenken eines leichten Lastwagens in schwierigem Gelände.

Was bewegte Sie zum Entschluss eine Kaderlaufbahn einzuschlagen?

Es war für mich eigentlich selbstverständlich, eine Führungsaufgabe zu übernehmen.

Was waren Ihre wichtigsten Ziele als Chef FHD bzw. Chef MFD?

Das Hinausführen des FHD aus dem HD, was die Einsatzmöglichkeiten erweitern würde, und die Werbung in der Bevölkerung für ein vermehrtes Engagement der Frauen in der Armee. Es ging auch darum, die Arbeitgeber für die Sache zu gewinnen, weil viele von ihnen sich weigerten, dienstleistenden Frauen den Lohn fortzuzahlen.

Was waren die grössten Schwierigkeiten und Herausforderungen, welchen Sie als Chef FHD bzw. Chef MFD begegneten?

Schwierig war die Überwindung der Vorurteile vieler Leute, dass Militär nichts sei für Frauen. Auch innerhalb der Armee gab es einige Skepsis, besonders bei jenen Armeeangehörigen, die im Dienst keinen Kontakt zu dienstleistenden Frauen hatten. Und dann, wie erwähnt, die Arbeitgeber.

FHD, MFD und die Bevölkerung

Bild: VBS/DDPS

Welche Vorteile bot der Dienst im FHD bzw. im MFD im Zivilleben?

Abgesehen vom persönlichen Gewinn durch die gemachten Erfahrungen keine.

Was halten Sie für den gängigsten Grund dem FHD beizutreten?

Es gibt wohl fast so viele Gründe wie Frauen, die sich für den Militärdienst entschliessen. Häufig ist wohl der Wunsch nach einem besonderen Erlebnis, dann aber auch der Gedanke dass die geforderte Gleichberechtigung auch gleiche Pflichten mit sich bringt. Manche junge Frau sagt sich „das kann ich auch“. Vielfach besteht auch einfach ein gewisses Interesse für die Armee im Allgemeinen und die Aufgaben, die sie zu erfüllen hat.

Wie bewerten Sie das damalige Interesse der Schweizerinnen im Alter von 19-40 am FHD und später am MFD?

Gering.

Wie empfanden Sie die Wertschätzung des FHDs bzw. des MFDs seitens der Bevölkerung?

Vordergründig erfuhr man häufig eine gewisse Bewunderung, Anerkennung. Aber eigentlich wurde man doch eher zu den Exoten gezählt.

Vom FHD zum MFD

Unter Ihnen wurde aus dem Frauenhilfsdienst der militärischen Frauendienst. Was waren die wichtigsten Änderungen dieser Umstrukturierung?

Vor allem die Verbesserung – Verlängerung – der Ausbildung. Dann der Ersatz der sog. Funktionsstufen der HD-Kader durch die allgemein verständlichen Dienstgrade. Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten.

Bereits 1978 erwähnten Sie in einem Vortrag, eine Möglichkeit den FHD attraktiver zu machen sei die Herauslösung aus dem Hilfsdienst und das Einrichten eines Sonderstatus. – Inwieweit wurde dieses Ziel 1986 in Form des MFD erreicht und inwiefern war dieser attraktiver als der FHD?

Mit dem MFD wurden die dringendsten Bedürfnisse der dienstleistenden Frauen abgedeckt. Er vermied aber bewusst eine umfassende Gleichmacherei mit dem männlichen Militärdienst. Später (da war ich nicht mehr dabei) erwies er sich als Übergangsmodell zur totalen Gleichstellung der Militärdienst leistenden Frauen mit den wehrpflichtigen Männern.

Wie wurde der Systemwechsel in den Reihen der (bisherigen) FHDs aufgenommen?

Mit Genugtuung.

FHD und MFD im Bezug zur Gleichberechtigung

Wie empfanden Sie die Wertschätzung des FHDs seitens der männlichen Armeeangehörigen?

Unterschiedlich. Abhängig davon, ob die Männer mit dienstleistenden Frauen zusammengearbeitet haben oder nicht. Im ersten Fall bestand meistens grosse Anerkennung der Leistung.

Wie machten sich die steigende Emanzipation im Laufe der Jahre sowie das Frauenstimmrecht ab 1971 im FHD spürbar?

Kaum.

Wie lässt sich der Umstand erklären, dass sowohl im FHD als auch im MFD der Dienst ohne Waffe geleistet wurde und erst 1991 eine freiwillige Bewaffnung möglich war?

In der ganzen Geschichte des FHD/MFD herrschte die Überzeugung, dass man den Frauen keine kombattanten Aufgaben übertragen sollte, nicht etwa aus ethischen Gründen, sondern weil man die physischen Anforderungen für Frauen als zu gross beurteilte.

Welchen Einfluss hatte die Übernahme der Dienstgrade und die Reorganisation zum MFD auf die Zusammenarbeit zwischen Angehörigen des MFDs und Angehörigen der Armee?- Welche Änderungen nahmen Sie war?

Die Verständigung zwischen den dienstleistenden Männern und Frauen wurde verbessert, nicht zuletzt auch durch die bessere Ausbildung der Frauen und insbesondere der weiblichen Kader.

Die Gleichberechtigung in Form des Zugangs zu allen Funktionen der Armee, bedeutete auch das Ende des MFDs. – Wie bewerten Sie diesen Umstand?

Es ist wohl ein Zeichen der Zeit. Ich hoffe für alle Armeeangehörigen, Männer und Frauen, dass sie ihre Aufgaben, auf die sie sich vorbereiten, nie in einem Ernstfall erfüllen müssen. Anders wenn die Armee im Falle einer Katastrophe die zivilen Behörden unterstützt: Das kann grosse Genugtuung mit sich bringen. Und geschieht meistens ohne Waffe.

Frauen in der Gesamtverteidigung

Brigadier Hurni neben Hansheiri Dahinden, dem Direktor der Zentralstelle für Gesamtverteidigung
Brigadier Hurni neben Hansheiri Dahinden, dem Direktor der Zentralstelle für Gesamtverteidigung Bild: Schweizer Soldat+MFD, Eduard Ammann

Was würden Sie als die wichtigsten Aufgaben von FHD und MFD innerhalb der Gesamtverteidigung bezeichnen?

Ursprünglich wertete man den Einsatz der Frauen dahingehend, dass jede Frau in der Armee mit der Übernahme einer nicht kombattanten Aufgabe einen Mann für den Kampf freistellt. Dies ist heute wohl nicht mehr nötig. Dafür sind in einer modernen Milizarmee spezifisch weibliche Eigenschaften und berufliche Fähigkeiten von grossem Nutzen. Im Weitern trägt das Engagement von Frauen in der Armee bei zu einem besseren Verständnis für diese Institution bei immerhin mehr als der Hälfte der Bevölkerung.

Der Zivilschutz, als weitere Organisation innerhalb der Gesamtverteidigung bot ebenfalls eine freiwillige Dienstpflicht für Frauen. Welche Sichtweise auf den Zivilschutz hatte man innerhalb des FHD (und später des MFD)?

Das Ansehen des Zivilschutzes bei den Angehörigen des FHD/MFD war dasselbe wie im Rest der Bevölkerung: Nicht gross, zurückzuführen auf die damals nicht sehr überzeugende Ausbildung im ZS.

1957 wurde der Zivilschutzartikel der Bundesverfassung, welcher ein Zivilschutz-Obligatorium für Frauen vorgesehen hätte, vom Stimmvolk abgelehnt. Zwei Jahre später wurde der Zivilschutzartikel ohne Schutzdienstpflicht der weiblichen Bevölkerung vom Stimmvolk angenommen. – Wie erklären Sie sich diesen Entscheid des männlichen Stimmvolks bezüglich der Frauen in der Landesverteidigung?

Dazu kann ich nur Vermutungen äussern: Hemmungen, den nicht stimmberechtigten Frauen zusätzliche Pflichten aufzuerlegen? Frauen gehören zu den Kindern und an den Herd? Unbehagen darüber, dass Frauen in die vertraute Männerwelt eindringen könnten? Merkwürdigerweise schien man sich keine Gedanken darüber zu machen, was die Zivilbevölkerung im Kriegsfall erleiden muss. Und das keine 20 Jahre nach dem furchtbaren Bombenkrieg.

Welche Rolle spielten die Frauen allgemein in der Landesverteidigung?

Ganz allgemein sorgten sie dafür, dass das Leben einigermassen weiterging, indem sie dort einsprangen, wo Männer dienstpflichtbedingt fehlten. In der Landwirtschaft, im Gewerbe, im öffentlichen Dienst, in den Schulen etc. Und sie versuchten, allen Einschränkungen zum Trotz, den Familien einen „normalen“ Alltag zu erhalten. Dies alles fiel bald nach Kriegsende in Vergessenheit, und man pflegte wieder das alte Rollenbild der Frauen. Auch der Erste Weltkrieg hat in der Schweiz keine Änderung der Stellung der Frau gebracht. In andern Ländern führte er zur Verleihung des Wahlrechtes.

- Das schriftliche Interview wurde im August 2020 durchgeführt. Ich danke Frau Br. a.D. Hurni für das Beantworten meiner Fragen und die freundliche Hilfe.